Dienstag, 26. März 2024

George Sand: Weit mehr als Männergeschichten

Eigentlich hieß sie Amantine Aurore Lucile Dupin de Francueil. Als Journalistin beim Figaro wählte sie mit J. Sand ein Pseudonym, das sie später beibehielt.

„Eine Milchkuh mit schönem Stil"
wurde sie von Nietzsche beleidigt - den man allenfalls verstehen kann, sollte er dabei das wenig schmeichelhafte Bild vor Augen gehabt haben, das Eugène Delacroix von ihr gemalt hatte. Da hatte sie sich gerade die Haare abgeschnitten und ihrem Liebhaber Alfred de Musset geschickt. Als de Musset auf einer gemeinsamen Reise nach Venedig schwer erkrankte, verliebte sich Sand in dessen Arzt, mit dem sie nach Paris zurückkehrte.

George Sand 1838.          Bild Wiki cc
Auf dem nebenstehenden Bild von Auguste Charpentier aus dem Jahr 1838 sieht sie so aus, wie sie sich gerne sah.

Neben unbekannten Ärzten sammelte sie vorrangig bekannte Autoren und Komponisten. Mit Chopin war sie in Mallorca unterwegs, mit anderen wie Liszt, Balzac, Flaubert, Dumas und Turgenjew anderswo.

Selbst de Musset bewunderte eher ihre Produktivität als ihre literarischen Qualitäten.

„Ich habe den ganzen Tag gearbeitet. Am Abend hatte ich zehn Verse gemacht und eine Flasche Schnaps getrunken; sie hatte einen Liter Milch getrunken und ein halbes Buch geschrieben.“
Damit kam Sand ungefähr auf den Tagesausstoß ihres Vornamensvetters Georges Simenon. Nur trank der keine Milch dazu, sondern, wenn er es bekam, belgisches Bier und dazu ein paar härtere Sachen. In seiner Pariser Wohnung hatte er sich Mitte der zwanziger Jahre eine Bar einbauen lassen, an der er und seine vielen Gäste regelmäßig einschliefen.

„Um vier Uhr früh kam meine Köchin“,
erzählte er in einem Interview des französischen Fernsehens.
„Sie tippte mir auf die Schulter. ‚Es ist Zeit‘. Ich setzte mich in eine Ecke an meine Maschine und schrieb vierzig Seiten eines Groschenromans. Wenn die anderen aufstanden, um zu frühstücken, hatte ich mein Tagewerk schon fertig.“
Die Vielschreiberin Sand - 180 Bücher und 15000 überlieferte Briefe - hat in den südfranzösischen Cevennen nur Verwunderung ausgelöst, wie Robert Louis Stevenson erzählt.
„Die Bauern, die über keine Literatur verfügten und niemals von Lokalkolorit gehört hatten“,
verstanden nicht, warum sich Sand angeregt mit einem zurückgebliebenen Kind unterhielt. Sie schlossen daraus, daß die Autorin selbst eine einfache Frau sein müsse. Auch ihre oft bewunderte Schönheit kam in den Cevennen nicht an.
„Die bekannteste Herzensbrecherin ihrer Zeit übte auf die Schweinehirten des Velay eine besonders geringe Anziehungskraft aus.“

Samstag, 23. März 2024

„Marseille 1940“ – Uwe Wittstocks Buch über Varian Fry und die Rettung zahlreicher Exilliteraten

Wenn mich heute jemand fragen würde, wo Uwe Wittstock die Zeit zwischen dem 14. Mai 1940 und dem 2. November 1941 verbracht hat, würde ich sagen: In Marseille – anders kann es gar nicht gewesen sein. So nah dran ist er mit seinem Buch „Marseille 1940“ an den deutschsprachigen Literaten, die ab 1933 vor den Nationalsozialisten nach Frankreich geflohen waren. Am 14. Mai 1940 hören wir gemeinsam mit Lion Feuchtwanger in seinem Haus in Sanary-sur-Mer die Abendnachrichten.Am 2. November 1941 kehren wir mit Varian Fry in die USA zurück.

ExilantentreffpunktVieux Port

Nach der Kapitulation Frankreichs und dem Vormarsch der Wehrmacht in den Süden, trafen sich Autoren wie Heinrich Mann, Walter Hasenclever, Lion Feuchtwanger oder Franz Werfel, um nur einmal vier der Namhaftesten zu nennen, in französischen Sammellagern wie Les Milles bei Aix-en-Provence und Saint Nicolas bei Nimes oder in Marseille; die Stadt hatte den letzten freien Hafen, der eine Ausreise etwa über Nordafrika und Portugal in die Vereinigten Staaten erlaubte. Oder man mußte per Bahn an die spanische Grenze fahren, auf alten Schmugglerwegen über die Pyrenäenausläufer klettern und hoffen, daß man nicht kontrolliert oder die Ausweisdokumente aberkannt wurden.

Varian Fry: Nach Rückkehr in die USA vergessen

Zum Glück war Varian Fry, ein junger amerikanischer Journalist, nach Marseille gereist und baute das Emergency Rescue Committee auf. Vor allem um die Rettung von Künstlern und Schriftstellern sollte er sich kümmern gehen. Mit Namenslisten, Briefen und 3000 Dollar in der Tasche war er angereist, um Exilanten die Ausreise zu ermöglichen. „Ich verließ Amerika, die Taschen vollgestopft mit den Listen der Namen von Männern und Frauen, die ich retten mußte.“ Um sie nicht beim französischen Zoll in Gefahr zu bringen, hatte Fry sich die Namenslisten um den Unterschenkel geklebt. Und reichlich optimistisch hoffte er, seine „Arbeit innerhalb eines Monats erledigt zu haben“. Folgerichtig hatte er lediglich vier Wochen Urlaub beantragt und auch bereits das Rückflugticket gebucht. Ein Jahr später war die Arbeit noch bei weitem nicht getan.

Blick von Frys Arbeitszimmer im Hotel Splendide auf die Treppe des Bahnhofs Saint Charles

Fry, anfangs in unbekümmerter Naivität, verstand es, sich schnell ein Netzwerk aufzubauen und es für seine Schutzbefohlenen nutzbar zu machen. Die Palette seiner unterschiedlich vertrauenswürdigen Kontaktpersonen umfasste das Spektrum vom katholischen Priester und dem Chef einer Schmugglerbande über antifaschistische oder bestechliche Polizei- und Zollbeamte bis hin zu Mitarbeitern der Konsulate und der Résistance.

Auf Seite 325 beginnt mit dem Kapitel „Was danach geschah“ der Teil des Buches, mit dem Sie Ihre Lektüre beginnen sollten, weil hier die Hauptpersonen biografisch eingeordnet werden. Im Text selbst wird manchmal zuviel vorausgesetzt, wobei das bei der Vielzahl der Namen fast verständlich wird. Für mehr Informationen sei der Blick auf die Homepage des Exil-Archivs empfohlen. In den dort bisher gesammelten 46,3 Millionen Text-, Bild- und Ton-Dokumenten kann man sich allerdings wunderbar verlieren.

Lisa und Hans Fittko: Unentbehrliche Fluchthelfer auf der Pyrenäenroute

Mit „Marseille 1940“ passiert das nicht und man ist und bleibt mittendrin. Das Buch gewinnt seine Authentizität durch die Vielzahl der wörtlich zitierten Quellen. Es wird selbst zu einem Tagebuch, an dem die unterschiedlichsten Personen mitgeschrieben haben. Eine deutsche Kommunistin wie Anna Seghers, eine amerikanische Erbin wie Peggy Guggenheim, der Surrealist André Breton und der Zeichner und Passfälscher Bil Spira. Wenn dazu auch noch die französischen Quellen ausgewertet worden wären, hätte das Buch allerdings mindestens 700 Seiten dick werden müssen.

Von mir nur ganz einfach die Empfehlung sich das Buch unbedingt zu kaufen, damit Sie das wichtigste Buch dieses Jahres – und es ist für mich nicht zu früh, dies jetzt zu schreiben - Ihr Eigen nennen können.






Dienstag, 19. März 2024

Heinrich Hansjakob, Schwarzwaldpfarrer mit einer Vorliebe für die Frauen des Südens


Ein Glas Wein  von Valérie Bèguy, der schönsten Frau Frankreichs
im Jahr 2008 hätte Heinrich Hansjakob gerne angenommen Bild oe24
Der aus Haslach im Schwarzwälder Kinzigtal stammende Pfarrer Heinrich Hansjakob war, als er kurz nach dem Krieg von 1870 mit seinem Heidelberger Freund Lindau nach Frankreich reiste, eine Erscheinung, nach der man sich auf den Straßen vor allem im Süden umdrehte. Zwei Meter zwanzig maß er mit seinem immer getragenen schwarzen Hut. Vielleicht war es zu der Zeit ganz gut, daß er fast überall für einen Engländer gehalten wurde.

Die Reise nach Frankreich trat er auch an, weil er gerade zwei Gefängnisaufenthalte hinter sich hatte: Einmal wegen aufrührerischer Reden und kurz darauf wegen Beamtenbeleidigung. Beide Verurteilungen machten ihn stolz. Hansjakob war immer eher dagegen als dafür und polterte in seinen vielen Büchern und Predigten gegen Bischöfe, Militärs, Juden, Leser der Romane von Walter Scott, Bartträger und kapitalistische Ausbeuter und natürlich gegen das „schweinsmäßig grunzende, Landschaft verhunzende“ Automobil sowie emanzipierte Frauen.
Hansjakob: 2 Meter 20 mit Hut

Die anderen fand der Pfarrer schon deshalb gut, weil er vom Zölibat nichts hielt und mehrfacher Vater war. Ein Brauer aus Waldshut soll sich erschossen haben, weil ihm ausgerechnet ein Priester die Frau ausgespannt hatte. Auch in Südfrankreich ließ er seine Augen
Tartarin hätte sich
mit Hansjakob verstanden
schweifen, etwa auf die Frauen in Tarascon: „Große und schlanke Figuren mit ganz blassen Gesichtern und ganz antiken Profilen“. Lange dunkle Gewänder „und schwarze Kopfbinde lassen die feine Blässe noch vorteilhafter hervortreten“. Immer wieder wurde er „von den Schönen“ wegen seiner Statur angesprochen und zu einem oder mehreren Gläsern Wein eingeladen.

Immer wieder auch ärgerte er sich über die kaum besuchten Gottesdienste. In Béziers fanden sich gerade mal siebzehn Frauen in einer Messe ein, die von fünf Priestern im Ornat gehalten worden.

„Voilá la France réligieuse!“

kommentierte er. Ähnliches wird er über die Bischöfe von Maguelone gedacht haben, die ihre Münzen jahrhundertelang mit der Aussage „Allah ist groß“ umrandeten. Selbst der Versuch eines Papstes, das zu unterbinden, war erfolglos, schließlich befördere das den Handel mit Nordafrika und Arabien.

Danke an Hans F. Ringwald aus Ohlsbach für den Hinweis auf Hansjakob in Südfrankreich.

Montag, 19. Februar 2024

Maria Magdalena und Fannys nackter Hintern


Ehrenvoller Kompromiß mit Maria Magdalena

Komplikationen rief in den fünfziger Jahren der 13-zu- Null-Sieg des protestantischen Geistlichen über seinen katholischen Kollegen hervor. Den ganzen Abend wurde heftig diskutiert, wie man denn nun die Einlösung bei Fanny bewerkstelligen solle. Darf ein katholischer Pfarrer einer Frau den Hintern küssen? Was heißt dürfen, er mußte.

Die Auffassung der Egalité, also vom gleichen Recht für alle, setzte sich im Land der Revolution durch. Aber eine ganz konsequente Umsetzung wäre vielleicht nicht südfranzösisch genug gewesen. In öffentlicher Diskussion einigten sich die beiden Geistlichen darauf, daß die Ehrenschuld auch mit einem Kuß auf die Rückseite der Statue von Maria Magdalena abgeleistet sei.

Die zweite der Marien, die damals in Les-Saintes- Maries-de-la-Mer den französischen Boden betreten hatte, kam auf diese Weise zu einer im christlichen Jahreskalender nicht vorgesehenen Prozession, denn selbstverständlich fand die Zeremonie auf dem Bouleplatz statt.

Maria Magdalena von Tizian      c WikiCom
Als erste Zeugin der Auferstehung - und nicht wegen der Dämonenaustreibungen, die Jesus der Sage nach an ihr vornahm - hat die aus Magdala am See Genezareth stammende Maria in der katholischen Kirche eine ganz besondere Bedeutung. Als "Apostola apostolorum" und damit auf einer Stufe mit den Aposteln wird diese Frau genannt, die aber auch immer wieder, etwa im Philippus-Evangelium als "Gefährtin Jesu" auftaucht. Ingrid Maisch hat im Freiburger Herder Verlag ein die Thematik gut zusammenfassendes Buch darüber geschrieben: "Maria Magdalena zwischen Verachtung und Verehrung". Mal als Sünderin, mal als Prostituierte weckte sie die Phantasie der Maler. Ob zu Beginn des 16. Jahrhunderts die von Tizian, der sie als halbnackte Büßerin malte, bis hin zu Jules-Joseph Lefebvre, der sie ganz nackt in eine Grotte legte.

Ganz sittsames Boule gibt es im Beitrag der Deutschen Welle über den Petanque-Weltmeister Fernand Moraldo: HIER EIN VIDEO.























Dienstag, 23. Januar 2024

Orange: Das Tor zur römischen Provence


Einfahrt nach Orange: Früher drunterher, heute drumrum
Der Schriftsteller Wolfgang Koeppen (1906-1996) betritt die Provence in Orange und durch den römischen Triumphbogen, was man zu seiner Zeit noch mit dem Auto, heute nur noch zu Fuß machen kann:
„Die schönste und zugleich die abweisendste Pforte zum Süden, zur lateinischen Welt.“
Dieser Eindruck entsteht durch das alles andere als golden geschnittene, mit je rund zweiundzwanzig Metern fast gleiche Verhältnis der Höhe zur Breite. „Hier schwimmt der mittelmeerisch gewandte Touristenstrom um ein Riff. Das alte Tor, das sich selbst genügt, wird schnell fotografiert.“


Kampfszenen heute restauriert
Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts fuhren die Postkutschen unter dem Triumphbogen hindurch und die Reisenden konnten sich die steinernen Bildgeschichten im Vorbeifahren ansehen. Heute kann selbst ein Spezialist in römischer Kunstgeschichte aus den umweltgeschädigten Steinen kaum mehr etwas ablesen.

Auf alte Fotos oder Beschreibungen muß man zurückgreifen. Dann sieht man Szenen aus den Kriegen gegen die Gallier oder den Sieg gegen die Flotte des griechischen Massalia (Marseille), das zwar römischer Bundesgenosse war, es aber nicht mit Caesar sondern Pompejus hielt. Achten Sie einmal darauf, wie oft die römischen Bauwerke von den Baumeistern des Mittelalters kopiert worden sind.

 
Die Struktur des Triumphbogens von Orange können Sie in der Camargue an der romanischen Portalwand von Saint Gilles wiederfinden: das Hauptportal und die beiden Nebenportale. Die Bühnenwand aus Orange findet in der Abteikirche des Heiligen Ägidius in Saint-Gilles (Camargue) ihre Entsprechung in den Wandflächen zwischen den Portalen: auch hier die Nischen mit den Statuen und für die vorgesetzten Säulen bediente man sich meist umfunktionierter Originale. Daß die mittelalterlichen Bildhauer ihre Werke lateinisch signierten, versteht sich von selbst: „Brunus me fecit“ steht in Saint Gilles an den Aposteln Matthäus und Bartholomäus.

Und dann beschreibt Koeppen weiter, wie es in Orange in den fünfziger Jahren aussah, das Verschlafene eines schattigen Innenhofes mit einem Maulbeerbaum

„und einem kleinen Restaurant, vom Fremdenverkehr ganz unberührt“. Orange träumt wie die Katze auf dem buntgedeckten Tisch, wie der dicke Stadtpolizist unter der Trikolore vor der Gendarmeriestation."
Weniger verträumt ist Orange während der Opernfestspiele, die bereits 1869 als „Chorégies“ gegründet wurden und somit das älteste französiche Festival sind; HIER im VIDEO eine Aufführung von Zorbas Tanz von Theodorakis. Seit jeher finden sie im römischen Theater statt, sehr renommiert inzwischen, aber das war es dann auch schon mit diesem Städtchen. Die Eintrittspreise können inzwischen 250 Euro bei aufwendigen Opern wie Turandot oder La Bohème übersteigen, Mozarts Requiem gibt es für die Hälfte und für 10 Euro die Studententickets. Alle Informationen über die Stadt und das Festival, auch mit der Möglichkeit Tickets zu reservieren finden Sie HIER.
Orange: Theaterwand außen, innen und mit einem Detail der römischen Marmorverkleidung

In Ruhe, am besten beim abendlichen Bummel und dann während einer Aufführung, sollten Sie sich die Theaterbühnenwand von innen und außen ansehen. Vielleicht geht es Ihnen dann so wie Ludwig XIV., der sie als schönste Mauer seines Königreiches bezeichnete. Wird der „Barbier von Sevilla“ gegeben, werden Sie selbst in den obersten Reihen über eine perfekte Akustik und darüber staunen, wie laut das Papierchen knistert, das Rosine und der Barbier als angeblichen Wäschezettel unter dem Tisch hervorzaubern. Ansonsten aber viel Verdi mit manchmal über zweihundert Personen auf der Bühne, was man sich aber bei einer über sechzig Meter langen Bühne durchaus leisten kann. Kammeroper wirkt da eher verloren. Die Inszenierungen können von bis zu siebentausend Besuchern verfolgt werden. In römischer Zeit hatte das Theater noch dreitausend Plätze mehr.

Das Festival kommt trotz aufwändiger Produktionen bis zu 1,5 Millionen Euro mit sehr wenig öffentlicher Unterstützung aus; nur 15 Prozent schießt der Staat zu. Diese vom Veranstalter immer wieder stolz zitierte Zahl relativiert sich allerdings, wenn man die zahlreichen staatseigenen Hauptsponsoren mit einbezieht: Von Air France bis SNCF und anderen.

Auch Alexandre Dumas beschrieb das antike Theater von Orange: „Welch erstaunliches Volk waren doch die Römer, die die Natur bezwangen wie einen Volksstamm, und das nicht nur für ihre Bedürfnisse, sondern auch für ihre Vergnügungen. Ein Berg war genau da, wo sie sich vorstellten, daß ein Theater entstehen sollte. Und sie erbauten dessen Bühnenwand am Fuße dieses Berges, um dessen mächtige Brust sie im Halbkreis Stufen legten, die sie für zehntausend Zuschauer aus den breiten Bergesflanken hieben.“ Diese Dimensionen waren für die damaligen Aufführungen auch erforderlich, denn zu römischer Zeit hatte die Stadt deutlich mehr Einwohner als heute.

Alles was Orange ausmacht: Stadteingang und Theater
Dumas, den unter seinem richtigen Namen Alexandre Davy de La Pailleterie heute kaum jemand mehr als den Verfasser von „Les trois mousquétaires“ identifizieren würde, liebte die Reisen in den Süden. In Marseille werden wir ihm und seinem „Grafen von Monte Christo“ wiederbegegnen. Beide Bücher hat er 1844 und 1845 schnell hintereinander geschrieben; im gleichen Jahr erschienen sie jeweils noch in deutscher Sprache. Und zahlreiche andere Veröfffentlichungen folgten in kürzester Zeit.

Seine Produktivität vervielfachte Dumas durch eine Reihe angestellter Schreiberlinge, die ihm die Forsetzungen seiner Romane zunächst für die Feuilletons der Tageszeitungen verfaßten, ehe der Meister selbst für die Buchfassung dann letzte Hand anlegte. Sogar sein Sohn verspottete ihn:
„Alle Welt hat Dumas gelesen. Aber niemand hat den ganzen Dumas gelesen - nicht einmal er selber.“ 



Mittwoch, 4. Oktober 2023

Mèze: Verhaltensregeln für Gäste

Was das Denken des alten Griechen Epikur aus dem vierten vorchristlichen Jahrhundert 2.500 Jahre später mit der Entscheidung für oder gegen ein Restaurant in Mèze am Étang de Thau zu tun, erschließt sich nicht beim ersten Hinsehen. Da steht diese Tafel prominent vor dem Bistro del Mar in Méze und ich weiß nicht, ob ich darüber schmunzeln oder mich ärgern sollte. Oder sind es einfach die jahrelangen schlechten Erfahrungen des Wirtes Davy Buonomo, die hier ihren Niederschlag finden?

Sein Restaurant sei eines für Épicuriens, schreibt Davy noch. Deepl übersetzt das sehr vereinfachend mit Genußmenschen. In Wahrheit, so hat das Jens Berger im Bayerischen Rundfunk mal formuliert, ist die Sache deutlich komplexer: Heute würde man eher von "Lebensfreude" als von Genuß sprechen. Jene Lust, die Epikur anstrebt, ist in erster Linie Abwesenheit von Schmerz und Leid. Ziel ist ein gelassenes Dasein in einem - das wird ihm viele Anhänger gebracht haben - ohne übertriebenes Training gesund erhaltenen Körper. Sowas wie "Cool und fit" also.

Hinzusetzen würde Epikur noch: Und dabei den gesunden Menschenverstand gebrauchen, sich nicht abhängig machen und Freundschaften pflegen. Klingt das nach einer Geisteshaltung, deren griechische Bezeichnung man immer noch als Schimpfwort gebraucht? Ist Hedonismus im epikureischen Sinn wirklich amoralisch? Ganz so einfach ist die Sache nicht, denn Epikur empfiehlt beispielsweise auch, man solle sich aus der Politik heraushalten und stressfrei genießen, also ohne Verliebtheit und erst recht ohne Heirat. 

Als ich die Dame, die die Tafel gerade rausgetragen hatte, freundlich grüße, hat sie mir nicht geantwortet. Ob die Vorschriften der Direktion zwar für Gäste gelten, aber nicht fürs Personal, konnte ich nicht weiter überprüfen, weil ich mich spätestens da für ein anderes Restaurant entschieden habe: Das Oasis du Pêcheur in Bouziges - den  Familienbetrieb eines Austernzüchters. Kein Schnickschnack, nur Meeresfrüchte als ersten, zweiten und/oder dritten Gang - keine Pommes, kein Käse, kein Nachtisch. Dafür immer ein Lächeln und den passenden Picpoul de Pinet (Carte noir aus der Kooperative).


                                                          Oasis du Pêcheur: Alles frisch und freundlich

Dennoch lohnt der Besuch in Mèze, wenn man nur durch die Altstadt und den kleinen Hafen bummeln möchte; der endet nach hundert Metern an einem Anfang September so gut wie menschenleeren Strand und mutet fast karibisch an.


 








Montag, 2. Oktober 2023

Mit Kurzeck durch Uzès und Garrigue: Ein Erinnerungsbuch aus dem Wunderhorn Verlag

Wer die Autobiographie als literarische Form schätzt, der kommt natürlich an einem Mann nicht vorbei, den man schon als Radikal-Autobiographen charakterisieren muß, Peter Kurzeck also. Wir haben uns einige Male in Uzès getroffen, im „Oustal“ am Marktplatz und sind von dort die paar Schritte über den bunten Samstagsmarkt in seine Wohnung gegangen. Da war ihm dann gerade wieder mal etwas eingefallen, was er unbedingt in einem Text noch ändern musste.

Manchmal schrieb er kurze Stichworte auch nur auf die Rückseite der Tee-Rechnung des „Oustal“. Dass er das vor Jahren meiner Frau beim „Hausacher Leselenz“ versprochene Buch über seine Zeit im südfranzösischen Uzès nicht abgeliefert hat, hat sie mit viel Geduld und bis zu seinem Tod ausgehalten. Zum Glück, aber als leider viel zu wenig umfangreichen Ersatz, haben nun Günter Kämpf und Vilma Link-Kämpf im Heidelberger Wunderhorn Verlag das Büchlein „Peter Kurzeck in Uzès. Begegnungen, Geschichten, Bilder“ herausgegeben. Gerade mal 80 Seiten und ergänzt um einen zwanzigseitigen Anhang mit Briefen und Bildern aus dem Archiv von Kurzecks Tochter Carina. Der Journalist und Kurzeck-Kenner Norbert Schmidt hat mich darauf aufmerksam gemacht.

 Kurzeck nachdenkend spazierend und nachdenkend kurz vor einer weiteren Korrektur.sw-Foto aus dem Buch

Kämpf, der Gründer des Anabas Verlages hatte mit seiner Frau lange in einem kleinen Örtchen in der Nähe von Uzès gelebt. Die privaten Fotos im Buch zeigen sie als Kurzecks Freunde und, im wörtlichen Sinne, Weggefährten bei Spaziergängen durch die Stadt und in die Garrigue. Mehr von Kurzeck in Uzès hört, wer sich noch irgendwo die CD „Für immer“ besorgen kann, auf der er gut eine Stunde von Leben und Arbeiten in dem südfranzösischen Provinzstädtchen erzählt. Nachdem Kurzeck gestorben war, haben Kämpfs dessen Wohnung aufgelöst. Inzwischen ist ein Psychoanalytiker im Haus eingezogen.

Die Erinnerungen an den Autor sind aber nicht nur etwas für Kurzeck-Freunde und -Spezialisten, sondern bieten auch dem nicht literarisch Reisenden viele Anregungen. Es lohnt sich nicht nur wegen des beschriebenen Zusammenhangs zwischen dem Herzoghaus in Uzès und der Champagner-Dynastie Cliquot. Wer das Buch der Kämpfs gelesen hat, sollte dann mit Kurzecks Buch „Der vorige Sommer und der Sommer“ fortfahren; Lektürebeginn aber erst auf Seite 99. Es ist ein Werk, in das man immer wieder versinken kann, bestens mit einer Flasche Rosé an einem heißen Augusttag mit Blick auf die Ausläufer der Cevennen. Wer dieses Sommerbuch nur einmal liest, überliest zuviel. Denn da entsteht, anhand der x-fach überarbeiteten und dann endlich zum Druck freigegebenen Notizen des großen Romanciers, ein Bild des Midi, wie wir es vielleicht selbst schon einmal gespürt haben, es aber nicht aufschreiben oder ausdrücken konnten. Und doch kommt einem alles so bekannt vor.

Nicht jeder empfindet Spaß an einer Kurzeck-Lektüre und manche haben sich erst beim zweiten oder dritten Buch in seinen unverwechselbaren Stil eingelesen oder lassen es dann spätestens ganz. Ist ja auch viel Arbeit, wenn man die vielen Worte, die er weglässt, dazu denken muß, hätte Kurzeck schon nicht mehr geschrieben. Querlesen gilt nicht. Ehrlich ist er ja, der Autor, wenn er seine Freundin Sibylle sagen läßt: „Eigentlich schreibst du deine ersten Kapitel, um die Leser abzuschrecken!“ Das nicht, antwortet er, „nicht direkt. Aber sollen wissen worauf sie sich einlassen.“

Kurzeck, der 2013 mit siebzig Jahren und viel zu früh - vor allem für sich selbst und sein noch abzuarbeitendes Pensum - starb, war kein Schnellschreiber. Manchmal, so gesteht er uns, brauchte er eineinhalb Tage, um einen angefangenen Satz überhaupt zu Ende zu schreiben.

Hier ein Zitat, das sich so im Buch nicht findet, sondern auf fünf ganz unterschiedlichen Seiten verteilt ist. „Ich muß einen Moment beschreiben, auch wenn ich zehn oder zwanzig Jahre dafür brauche. Ich schreibe auf Papierservietten, Bierdeckel, Zigarettenschachteln, Tesafilm, Packpapier, Käseschachteln aus Spanholz und Schmirgelpapier. Lesen, korrigieren, umschreiben, dann Notizen sortieren und auf bessere Zettel übertragen. Nach und nach wird aus den Zetteln ein Anfang. Lesen, ändern, dazu schreiben, bis man es kaum noch lesen kann und nächstens bald wieder abtippen muß. Manchmal muß ein Freund mit einer Lupe meine Notizen entziffern. Jeden Abend eine neue Reinschrift.“ 

Mit dem Buch der Kämpfs in der Hand (oder schon im Kopf) erschließen sich Uzès und dessen Umgebung ganz anders, als man das von den üblichen touristischen Reiseführern gewohnt ist.


Günter und Vilma Kämpf: Peter Kurzeck in Uzès - Die Stadt und die Wohnung, Begegnungen, Geschichten, Bilder. Wunderhorn, Heidelberg 2023, 20 Euro








Sonntag, 1. Oktober 2023

Sehnsuchtsort mit Wach-Hahn: Birgins Haus im Midi

Wer sich seinen Traum vom eigenen Haus im Süden Frankreichs erfüllen will, sollte vorher dieses Buch gelesen haben. Wenn Sie dagegen eine Ausbildung zum Maurer und Dachdecker, zum Landschaftsgärtner, Elektriker und Schreiner haben und zudem perfekt französisch sprechen, dann brauchen Sie es nicht unbedingt – aber nur dann.

Jeder „normale Mensch“ aber kann sich viel ersparen. Bei Makler und Notar und auch bei der Bank; zum Beispiel, daß es nicht genügt, die Kaufsumme auf dem Konto zu haben, sondern daß man manchmal auch noch eine Bereitstellungsgebühr bezahlen muß, um ans eigene Geld zu kommen. Dann die Erfahrungen mit Handwerkern, die im Einzelfall dazu führen können, daß für den Einbau einer Zentralheizung dann doch der deutsche Heizungsinstallateur beauftragt wird, der das alles perfekt und in drei Tagen erledigt. 

Meist aber waren Marie und Axel Birgin, die dort wohnen, wo das Navi seinen Dienst versagt, mit ihren französischen Handwerkern bestens bedient. Gerade bei der Renovierung alter Häuser ist deren Kreativität immer wieder hilfreich; an das manchmal etwas andere Zeitempfinden hat sich Birgin im Nachhinein gewöhnt und kann inzwischen mit Humor darüber hinwegsehen. „Sie hatten garnicht gesagt, daß das dieses Jahr fertig werden sollte.“

Die Geschichten, die Marie und Axel erzählen können, hätten durchaus auch für weitere zweihundert Seiten gereicht. Mal sehen, ob ein weiterer Band folgt? 


Aus der Tanne wurde der Wach-Hahn am Eingang. Bild AB

Bis dahin werden in dem Haus - das in der Nähe von Pont Saint Esprit liegt, also in guter Lage zu den Hauptsehenswürdigkeiten von Provence und Languedoc - unterschiedliche Seminare angeboten: Qigong, Ayurvedische Massage/Ernährung sowie eine Anleitung zum „Sitzen und Schauen“. 

"Schauen lernen" - zum Beispiel auf den Mont Ventoux. Bild AB

Die Gite (mit Pool) gleich nebenan bei den Nachbarn bietet 6 Doppelzimmer mit Dusche und Toilette. Und ganz beruhigt, da selbst schon genossen, kann ich die von Marie gezauberten Menüs empfehlen. Kontakt: axel@birgin.de

Komplizen (mit gleicher Schuhgröße?)


 

 

 

 

Axel Birgin: Sehnsuchtsort und     Ankerpunkt, Norderstedt, BoD, 2023, 22,60 Euro im Buchhandel

Sonntag, 21. Mai 2023

Capitaine Blanc und Autor Rademacher in Bestform

Nein, es geht nicht um Boule - höchstens um Boule mit Eiern von Dinosauriern.

Capitaine Roger Blanc, den sich der Roman-Autor Cay Rademacher ausgedacht hat, darf nun zum zehnten Mal auf Verbrechersuche. Diesmal an Cézannes Berg, dem Montagne Sainte Victoire. Nicht unerwartet ist Blanc, um im Bild zu bleiben, wieder siegreich und das sogar in einem letztlichen Alleingang, der beinahe schief gegangen wäre. 


Das Buch liest sich so spannend und leicht, daß man manchmal die Recherche-Arbeit vergisst, die gerade auch hinter einem Kriminalroman stecken sollte und die es bei Rademacher auch tut. Von den Fossilien-Fundorte in der Nähe von Aix-en-Provence bis zu den Toten und Zerstörungen, die es gab, als der Staudamms von Malpasset gebrochen ist und sich eine 40 Meter hohe Wasserfront auf Fréjus zustürzte…alles ist nachzuprüfen.

Hält der Staudamm von Bimont? Der von Malpasset jedenfalls nicht. Hausgroße Trümmerteile auf dem Weg ins Tal und viele Tote, die bis ins Mittelmeer abgetrieben wurden.

Und natürlich der lebhafte Handel, den die Fossilienjäger aus den Hochschulen mit ihren Funden betreiben. Der berühmte Tyrannosaurus rex, ausgerechnet Tristan wurde er getauft, der sich im Berliner Naturkundemuseum befindet, gehört einer Privatperson – nur eine Leihgabe also. Das Auktionshaus Christie’s hat kürzlich einen ganzen T-Rex für fast 32 Millionen Dollar versteigert und die Kollegen von Sotheby’s nur deine Schädel für 6 Millionen.

Ohne ein Zwillingspaar wäre es schwer gewesen, die Handlungsstränge Staudamm-Gutachten und Dino-Ausgrabungen zu verknüpfen. Wird der Ingenieur ermordet, weil er mit seinem Zwillingsbruder-Paläontologen verwechselt wird? Der Blog, in dem Wanderwege abseits der gewöhnlichen Touren beschrieben werden, schickt den Blogger auf seine letzte Wanderung. Kaum jemand, der nicht verdächtig ist. Und was hat es mit mit dem alten Spielzeugauto, das dem Capitaine Blanc so ans Herz gewachsen ist?

Gut möglich, daß der Mörder auf diesem Bild zu sehen ist. Foto: La Provence.
 

Nur das wundert mich: Der Capitaine entspricht dem deutschen Polizeihauptkommissar und es ist schon eine Schande, dass Capitaine Blanc mittlerweile, trotz seiner zehn bravourös gelösten Fälle immer noch nicht befördert worden ist. Commandant (Erster Polizeihauptkommissar) oder Commissaire de Police (Polizeirat) sollte er inzwischen doch schon sein und damit die bei der Polizei durchlässige Grenze vom gehobenen in den höheren Dienst geschafft haben. Aber vielleicht haben da seine ehemalige Geliebte, die Untersuchungsrichterin und deren Immer-Noch-Mann aus dem Ministerium etwas dagegen?

Trösten kann sich Blanc mit seinem Kollegen Maigret. Der war und blieb Kommissar bis zur Rente.