Samstag, 17. September 2016

Les Milles: Lagerhaft für Lion Feuchtwanger, Franz Hessel und Walter Hasenclever

Stars der Literatenszene: Tucholsky und Hasenclever 1925. Bild DLA
Heute kennt ihn fast niemand mehr: Walter Hasenclever. Dabei schrieb er erfolgreiche Drehbücher für Filme mit Greta Garbo und war mit seinen expressionistischen Dramen mehrfach Deutschlands meistgespielter Bühnenautor in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. 1933 wurde er ausgebürgert, seine Bücher erst verboten und dann verbrannt. In Nizza und Cagnes-sur-Mer verbrachte er seine Zeit des Exils. Von den Franzosen wurde er – wie viele deutsche Exilanten - in Internierungslagern eingesperrt.

Bevor er nach Les Milles bei Aix-en-Provence transportiert wurde, war Hasenclever bereits an der Küste verhaftet und ins Lager Fort
Hasenclever: Flirt an der Riviera 1934. Bild DLA
Carrée bei Antibes gebracht worden. Auf Intervention des Dramatikers und Erzählers Jean Giraudoux war er zunächst noch einmal freigekommen und hatte sich mit dem autobiographischen Roman „Die Rechtlosen“ seinen Ärger und seine Verbitterung von der Seele geschrieben. Auch darüber, daß er sich der französischen Armee als Dolmetscher angeboten hatte und mit dem Argument seines zu hohen Alters, er war gerade fünfzig, abgewiesen worden war. Hier seine Eindrücke aus Les Milles und meine TV-Dokumentation (ab Minute 44):

„Der Posten war ein einfacher Soldat, ein Bauer aus der Provence. Er stand gelassen hinter der Barriere, vor sich einen Haufen aufgeregter Intellektueller. Die Hand am Gewehrriemen blickte er gleichmütig auf die ihm völlig fremde Menschenschar. Gefangen dachte ich wieder. Rechtlos. Keinem Lande zugehörig. Ausgeliefert. In Frankreich. In der Heimat Voltaires.“
Zu diesem Haufen aufgeregter Intellektueller gehörten unter anderem Golo Mann, Lion Feuchtwanger, dann der Simplicissimus-Redakteur Franz Schoenberner und der Autor und Rowohlt-Lektor Franz Hessel.
Ehemalige Ziegelei: Das Internierungslager von Les Milles 1939 und 2005
Hasenclever hielt viel von der ausgleichenden und unaufgeregten Art Hessels, den er in den „Rechtlosen“ als Philosoph Dr. Hesekiel über Deutschland und Frankreich und das Verhältnis der Exilschriftstellen zu ihren beiden Heimaten monologisieren läßt.

Andächtig saßen die Lagerinsassen um ihn herum:

„Ja, meine Herren, wir müssen diesen Zustand als eine Prüfung betrachten. Unsere Liebe zu Frankreich wird auf eine harte Probe gestellt. Ich weiß. Dennoch – wir müssen hindurch. Wer liebt, der nimmt nicht nur.“
Und ausgerechnet Hasenclever hat die Prüfung nicht bestehen wollen. Schon länger hatten seine Mitgefangenen Angst, daß er den Selbstmord begehen würde, von dem er soviel gesprochen hatte.
„Wie wir da im Garten sitzen, vielleicht zum letzten Mal, am ersten Kriegstage in dieser friedlichen Landschaft, mußte ich plötzlich weinen. Was wir gedacht und geschrieben haben, was wir, Angehörige eines Volkes, das nie seine Dichter begriffen hat, dennoch glaubten verkünden zu müssen - es versinkt im Gespensterzug der Dämonen. Diese Welt existiert nicht mehr.“

Einer der Schlafräume in Les Milles: Überall Ziegelstaub
Mit einer Überdosis Veronal hat er sich umgebracht und konnte auch im Militärlazarett von Aix nicht mehr gerettet werden. Seine sterblichen Überreste blieben verschwunden; die Rechnung des Bestattungsunternehmers allerdings findet sich im Deutschen Literaturarchiv in Marbach (DLA), von dem die beiden Bilder oben stammen.